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Grund­satz­ent­schei­dung des BGH zum Ent­schä­di­gungs­an­spruch wegen Bau­zeit­ver­zö­ge­run­gen nach § 642 BGB

BGH, Urteil vom 30.01.2020, Az: VII ZR 33/19

 

Die Fra­ge, wel­chen Inhalt der Ent­schä­di­gungs­an­spruch nach § 642 BGB hat, ins­be­son­de­re anhand wel­cher Kri­te­ri­en er zu berech­nen ist, ist bis­lang unge­klärt gewe­sen. Der BGH hat hier­zu nun eine Grund­satz­ent­schei­dung gefällt, die die zu die­sem Pro­blem bestehen­de Ori­en­tie­rungs­lo­sig­keit in Pra­xis und Recht­spre­chung zumin­dest zum Teil besei­ti­gen dürfte.

Im Aus­gangs­fall, ent­schie­den durch das KG Ber­lin (Urteil vom 29.01.2019, Az: 21 U 122/18), wur­den von einem öffent­li­chen Auf­trag­ge­ber Tro­cken­bau­ar­bei­ten für den Erwei­te­rungs­bau einer Ge-mein­schafts­schu­le im Jahr 2016 aus­ge­schrie­ben. Die­se Tro­cken­bau­ar­bei­ten waren in drei unter­schied­li­chen Gebäu­den zu erbrin­gen. Für den Gebäu­de­teil „Schul­erwei­te­rung“ stell­te das Kam­mer-gericht in der teil­wei­se auf­ge­ho­be­nen Ent­schei­dung zwar einen Annah­me­ver­zug des Auf­trag­ge­bers fest, da die­ser das Bau­grund­stück nicht ter­min­ge­recht zur Aus­füh­rung der ver­ein­bar­ten Arbei-ten über­las­sen hat. Es lässt den Ent­schä­di­gungs­an­spruch des Auf­trag­neh­mers jedoch dar­an schei­tern, dass die Ent­ste­hung eines Nach­teils in Form von Vor­hal­te­kos­ten für ver­geb­lich bereit­gehal-tene Pro­duk­ti­ons­mit­tel als anspruchs­be­grün­den­de Vor­aus­set­zung für eine ange­mes­se­ne Ent­schä­di­gung nach § 642 BGB nicht nach­ge­wie­sen sei.

Hier­ge­gen wen­det sich der BGH:

Nach Ansicht des BGH ist das Ent­ste­hen eines sol­chen Nach­teils in Form von Vor­hal­te­kos­ten für Pro­duk­ti­ons­mit­tel kei­ne anspruchs­be­grün­den­de Vor­aus­set­zung den Ent­schä­di­gungs­an­spruch. Dies kann nach Ansicht des BGH weder dem Wort­laut des § 642 BGB ent­nom­men wer­den noch dem Rege­lungs­zu­sam­men­hang. Viel­mehr ist die ange­mes­se­ne Ent­schä­di­gung im Aus­gangs­punkt dar­an zu ori­en­tie­ren, wel­che Antei­le der ver­ein­bar­ten Gesamt­ver­gü­tung ein­schließ­lich Wag­nis + Gewinn sowie All­ge­mei­ne Geschäfts­kos­ten auf die vom Unter­neh­mer wäh­rend des Annah­me-ver­zu­ges unpro­duk­tiv bereit­ge­hal­te­nen Pro­duk­ti­ons­mit­tel ent­fal­len. Der Tat­rich­ter hat – so der BGH – fest­zu­stel­len, inwie­weit der Unter­neh­mer wäh­rend des Annah­me­ver­zu­ges Pro­duk­ti­ons-mit­tel unpro­duk­tiv bereit­ge­hal­ten hat und die hier­auf ent­fal­len­den Antei­le aus der ver­ein­bar­ten Gesamt­ver­gü­tung zu berück­sich­ti­gen. Der BGH for­dert den Tat­rich­ter aus­drück­lich dazu auf, nach § 287 ZPO zu schätzen.

Zu den Ver­gü­tungs­an­tei­len für unpro­duk­tiv bereit­ge­hal­te­ne Pro­duk­ti­ons­mit­tel gehö­ren nach Auf­fas­sung des BGH nicht die infol­ge des Annah­me­ver­zu­ges erspar­ten Auf­wen­dun­gen ein­schließ­lich dar­auf ent­fal­len­der Antei­le für All­ge­mei­ne Geschäfts­kos­ten sowie Wag­nis + Gewinn.

Fer­ner ist zu prü­fen, ob der Unter­neh­mer wäh­rend des Annah­me­ver­zu­ges die­se Pro­duk­ti­ons­mit­tel ander­weit pro­duk­tiv ein­ge­setzt hat oder ein­set­zen konn­te. Dabei soll es unbe­acht­lich sein, ob es sich hier­bei um einen „ech­ten Füll­auf­trag“, also einen Auf­trag, der nur wegen des Annah­me­ver­zu­ges ange­nom­men und aus­ge­führt wer­den konn­te, han­delt oder nicht. Die­ses aus § 649 BGB a.F. (jetzt § 648 BGB) ent­nom­me­ne Kri­te­ri­um sei für den Ent­schä­di­gungs­an­spruch nach § 642 BGB irrelevant.

Dar­le­gungs- und beweis­be­las­tet für die obi­gen Kri­te­ri­en ist nach den all­ge­mei­nen Grund­sät­zen der Unter­neh­mer als Anspruchs­stel­ler, wobei hier noch­mals unter­stri­chen wird, dass die­se Dar­le-gungs­vor­aus­set­zun­gen dadurch erleich­tert wer­den, dass der Tat­rich­ter zur Schät­zung nach § 287 ZPO berech­tigt ist. Auf der Grund­la­ge des vom Unter­neh­mer Vor­ge­tra­ge­nen soll dann der Tat­rich-ter eine Abwä­gungs­ent­schei­dung tref­fen und die ange­mes­se­ne Ent­schä­di­gung bestimmen.

Hin­weis:

Das Urteil des BGH dürf­te die Gel­tend­ma­chung und Durch­set­zung von Ent­schä­di­gungs­an­sprü­chen wegen Bau­ver­zö­ge­run­gen erheb­lich erleichtern.

Zu beach­ten ist aber nach wie vor, dass für den Ent­schä­di­gungs­an­spruch nach § 642 BGB ein Annah­me­ver­zug des Bestel­lers Anspruchs­vor­aus­set­zung ist. Die­se muss durch ein wört­li­ches Ange­bot her­bei­ge­führt wer­den. Für ein sol­ches Ange­bot der Leis­tung genügt eine Behin­de­rungs­an­zei­ge. Die­se ist aber auch unbe­dingt erfor­der­lich. Nur in sel­te­nen Fäl­len ist eine Behin­de­rungs­an­zei­ge we-gen Offen­kun­dig­keit entbehrlich.