Ausnutzung von Ausschreibungsfehlern führt zur Anfechtung!

BGH, Beschluss vom 23.06.2021, Az: VII ZR 142/20

Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) schreibt nach VOB/A die Herstellung einer Oberflächenabdichtung im Rahmen der Stilllegung einer Deponie aus. Nach dem Leistungsverzeichnis (LV) können 15 bestimmte Abfallarten eingebaut werden. Der Auftragnehmer (AN) erkennt bereits in der Angebotsbearbeitungsphase die Ungeeignetheit der ausgeschriebenen Abfallarten, kalkuliert mit anderen Abfällen und erhält den Zuschlag. In der Ausführungsphase wird auf seinen Bedenkenhinweis hin der Einsatz von weiteren 13 (geeigneten) Abfallarten genehmigt. Nachtragsstreitigkeiten führen dann zu wechselseitigen Kündigungserklärungen, woraufhin der AN seinen Restwerklohn einklagt. Im Prozess trägt er vor, er habe die Fehlerhaftigkeit der Ausschreibung erkannt und deshalb mit anderen Abfallarten kalkuliert. Der AG erklärt daraufhin die Anfechtung des Bauvertrages wegen arglistiger Täuschung.

Das OLG und später der BGH geben dem AG Recht. Der AN hat zunächst gegen seine Offenbarungspflicht verstoßen, weil er nicht die geforderten Preise angegeben, sondern insgeheim mit anderen Abfallarten kalkuliert hat. Daher waren seine Preisangaben falsch. Hinzu kommt, dass die Ausschreibungsunterlagen evident fehlerhaft waren. In einem solchen Fall ist der Bieter (ausnahmsweise) dazu verpflichtet, den AG auf diese Mängel hinzuweisen.

Hinweis:

Die Entscheidung ist problematisch, da Vergaberecht kein Vertragsrecht ist und sich Verstöße gegen Ausschreibungsvorschriften deshalb nicht auf den geschlossenen Bauvertrag auswirken.

Ferner ist der Bieter nicht dazu verpflichtet, den AG auf Fehler in den Ausschreibungsunterlagen hinzuweisen. Das wird zwar in der OLG-Rechtsprechung überwiegend anders gesehen, ist aber falsch. Nach der sog. Universitätsbibliothek-Entscheidung des BGH darf der AN ein erkennbar lückenhaftes LV nicht einfach hinnehmen, sondern muss sich daraus ergebende Zweifel vor Abgabe seines Angebotes klären. Lückenhaft in diesem Sinne ist aber kein fehlerhaftes oder unvollständiges, sondern ein kalkulatorisch unklares LV.