Sind DIN-Normen immer allgemein anerkannte Regeln der Technik?

OLG Rostock, Beschluss vom 23.09.2020, Az: 4 U 86/19

Der AG beauftragt den AN mit der Erstellung eines sog. „Warmdaches“. Das soll ein nicht belüftetes Dach sein, bei dem sich Holz oder Holzwerkstoffe zwischen Dachabdichtung und diffusionshemmender Schicht befinden. Dieser Dachaufbau war durch ein Holzschutzgutachten, das der AG erstellen ließ, vorgegeben. Später wurden noch ohne Beteiligung des AN Dachfenster und ein Schornstein in das fertiggestellte Dach eingebaut. Es zeigen sich dann Durchfeuchtungen, weshalb der AG den AN auf Kosten der Mangelbeseitigung in Höhe von 45.000,00 € in Anspruch nimmt.

Das LG geht davon aus, dass ein Warmdach schon 2010 nicht mehr den allgemein anerkannten Regeln der Technik entsprochen habe. Hieran äußert das OLG Zweifel. Wenn das Dach nicht den allgemein anerkannten Regeln der Technik (a.R.d.T.) entspricht, liegt ein Mangel vor, ohne dass es einer zusätzlichen Beeinträchtigung des Bauwerks bedürfe. Es ist dem AG nicht zuzumuten, solange zu warten, bis sich tatsächlich ein Schaden zeigt. Es genügt, dass durch die Abweichung von den a.R.d.T. das Schadensrisiko erhöht ist.

Eine technische Regel ist allgemein anerkannt, wenn sie der Richtigkeitsüberzeugung der technischen Fachleute im Sinne einer allgemeinen wissenschaftlichen Anerkennung entspricht und darüber hinaus in der Praxis erprobt und bewährt ist. Nach Auffassung des OLG spricht eine Vermutung dafür, dass kodifizierte technische Normen, wie z.B. die DIN, die a.R.d.T. wiedergeben, weil diese Regelwerke aufgrund der vorherrschenden Ansicht der technischen Fachleute erstellt worden sind.

Diese Vermutung ist jedoch widerlegbar. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn es Anhaltspunkte dafür gibt, dass die Norm veraltet oder überholt ist. Warmdächer sind – so das OLG – nach der DIN 4108:2001-07 zur Zeit der Abnahme im Jahr 2010 noch ohne Einschränkung zulässig gewesen. Allerdings geht der Gerichtssachverständige aufgrund eigener langjähriger Erfahrungen mit vielfältigsten Schadensfällen, die u.a. auch auf diese grundsätzliche Konstruktion zurückgeführt werden müssen, sowie einer seit mindestens 15 – 20 Jahren andauernden kontroversen Diskussion in der Fachwelt davon aus, dass die Ausführung nach DIN in keiner Weise fehlertolerant und unter Baustellenbe-dingungen deshalb kaum herstellbar sei.

Das reicht jedoch nach Auffassung des OLG nicht aus, die Vermutungswirkung, dass die DIN die a.R.d.T. widerspiegelt, zu erschüttern. Falls doch, sei zu Lasten des AG ein Mitverschulden zu berücksichtigen, da diese Konstruktion durch das von ihm eingeholte Gutachten vorgegeben gewesen ist.

Die Einschätzung des OLG Rostock deckt sich mit der Einschätzung des OLG Hamm in einem vergleichbaren Fall. Allerdings wird die Vermutungswirkung der DIN-Normen zunehmend kritisch gesehen. Man sollte also auch bei einer Bauausführung nach den DIN-Normen kritisch hinterfragen, ob diese DIN-Norm tatsächlich noch der Richtigkeitsüberzeugung der technischen Fachleute entspricht und als AN im Zweifel Bedenken anmelden.